Mein Plan ist aufgegangen. Wie schön! Als ich morgens aus dem Zelt schaue, ist es nur noch leicht bewölkt und die Sonne scheint. Jetzt können wir auch alle Berge um uns herum sehen.

Jippieh, Polarkreis im Prinzip bei Sonne überquert! Wer bei „im Prinzip“ nicht grinsen muss, der sollte den gestrigen Tag nochmal lesen 😉

Vielleicht bleiben wir auch einfach den ganzen Tag so stehen und lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen?

Na gut, doch nicht. Noch ein letztes Foto und dann geht’s los. Ein letztes gemeinsames Startfoto. Später trennen sich unsere Wege nämlich. Nachdem meine Mama vor einer ganzen Weile am Telefon meinte, dass wir das schon so häufig gesagt hätten, ist es heute tatsächlich so weit. Ohne wenn und aber. Hinter der Saltfjellstua biegt Markus nach rechts ab und geht über Sulitjelma nach Schweden rüber und ich gehe weiter geradeaus, über Rognan und Fauske zur Ragohytta.

Aber der Tag hat ja gerade erst begonnen. Wir verabschieden uns von Rhea und Mika und um Viertel vor 9 geht’s los. Oberhalb des Raudfjellelvdalen am Fuße des Bolna entlang. Ein einfacher und gut sichtbarer Pfad. Schöner Weg, schöner Blick, schönes Wetter.

Um das Wetter richtig zu genießen, beschließen wir die 5-Kilometer-Pause heute wieder einzuführen. Nicht, weil es so anstrengend ist, sondern um zwischendurch immer mal in der Sonne zu sitzen und die schöne Landschaft zu betrachten. Die ersten Kilometer geht es etwas nach oben und wir machen die erste Pause dann auch gleich am höchsten Punkt auf ein paar Felsen. Markus spendiert ein Mentos, worauf Fragen abgedruckt sind. Also eigentlich nur zwei Wörter, zwischen denen man sich entscheiden muss. Zum Beispiel süß oder salzig. Damit ist unsere weitere Wegbeschäftigung geboren. Wir denken uns eigene Wortpaare und Entscheidungsfragen aus, auf die der andere schnell antworten muss. Dabei vergeht auch die Zeit bis hinab ins Bjøllådalen ganz fix.

Wir queren diesen Bach unterhalb des Wasserfalls.

Über den nächsten Fluss Kvitsteinelva gibt es zum Glück eine Brücke. Wieder eine wackelige Hängebrücke.

Und nach einem steileren Abstieg zwischen Bäumen hindurch, können wir auch den großen Fluss Sørstilleelva unten im Tal über eine lange und noch wackeligere Hängebrücke queren. Das Wasser leuchtet ganz türkis und ist super klar.

Auf der anderen Seite der Brücke stehen ganz viele Pilze. Das sind die Birkenröhrlinge, die Rhea gestern gesammelt hat. Eigentlich könnten wir doch auch welche mitnehmen und zum Mittagessen machen. Es kommt noch eine Hütte auf dem Weg, wo wir sie anbraten könnten. Also verbringen wir die nächsten Kilometer damit, Pilze zu sammeln. Wir suchen besonders kleine und lassen die großen und alten Pilze stehen.

Der Weg führt immer wieder durch lichten Birkenwald und zwischendurch zur Abwechslung über eine sumpfige Wiese.

Uns kommt ein anderer Wanderer mit großem Rucksack entgegen. Ein Schwede, der Anfang Juli an der norwegisch-russischen Grenze gestartet ist. Ich frage ihn nach dem Gebiet zwischen Røysvatnet und Ragohytta, so wie jeden, der von Norden kommt. Und ich habe endlich mal Glück, zumindest ein bisschen. Er ist zwar auf schwedischer Seite gegangen, dann aber quer rüber zur Ragohytta. Und er schwärmt total von Weg und Hütte. Das wäre der interessanteste Teil seiner ganzen Wanderung gewesen. Der Weg sei etwas technischer als hier und richtig schön. Na das sind doch mal gute Aussichten. Der Weg von der Ragohytta nach Schweden rüber sei sogar teilweise markiert und auf jeden Fall gut zu finden. Dann steht mein Plan jetzt – ich gehe definitiv zur Ragohytta. Und von dem ersten großen Fluss mache ich dann abhängig, ob ich mein Glück auf norwegischer Seite versuche. Falls ich nicht rüberkomme oder mich nicht traue, dann nehme ich den Pfad rüber nach Schweden. Sehr gut, damit bin ich glücklich.

An der Krukkistua angekommen, begutachten wir unsere gesammelten Pilze. Zwei, die den anderen doch nicht ganz so ähnlich sehen, sortieren wir lieber direkt aus. Eigentlich sind wir uns aber auch gar nicht so sicher, ob wir sie überhaupt essen wollen. Wir haben Rhea heute morgen gar nicht mehr gefragt, wie die Pilze waren. Und wir haben auch keinen Empfang, um uns nochmal zu vergewissern, dass wir den richtigen erwischt haben. Ich schneide einen in Scheiben und brate ihn an. Wir probieren ein kleines Stück vom Stiel, der ist ganz lecker. Der Kopf allerdings schmeckt etwas bitter. Den spucken wir beide wieder aus. Okay, das ist uns doch zu unsicher. Wir lassen das sein, bevor wir die nächsten Tage noch auf der Toilette verbringen müssen. Dann halt keine Pilzpfanne zum Mittagessen.

Jetzt sind es nochmal etwa 5 Kilometer bis zur Saltfjellstua. Hier steht eine Hütte nach der nächsten. Nach ein paar Kilometern kommen wir noch an einer offenen Steinhütte vorbei, die wohl als Nothütte dient. Es geht weiter durch den Wald, rechts von uns der Fluss. Es ist echt warm inzwischen und im Wald sind einige Mücken unrerwegs. Am schlimmsten war es an der Krukkistua, beim Gehen geht es.

An der Saltfjellstua angekommen, machen sich Heike und Christoph gerade wieder auf den Weg. Ich wünsche ihnen noch eine schöne Wanderung, jetzt werden wir uns nicht mehr über den Weg laufen. Außerdem sind noch 2 deutsche Kerle da, die Pause machen und dann in der Steinhütte übernachten wollen, wo wir vorhin dran vorbei gekommen sind. Dann haben wir die Hütte wohl für uns. Das Schönste ist die große Sonnenterrasse. Ich lege mich erstmal eine Weile auf das sonnengewärmte Holz. Herrlich! Eigentlich müsste ich noch ein Stück weitergehen, damit ich morgen und übermorgen nicht so Mammut-Tage vor mir habe. Aber vielleicht bleibe ich einfach.

In den Küchenschränken finde ich Haferflocken und ein paar Gewürze. Vielleicht könnte man ja herzhaft gewürzte Haferpuffer daraus machen? Ich probiere es mal und rühre Haferflocken, Wasser, Öl, Salz, Pfeffer, Kurkuma und geräuchertes Paprikapulver zusammen. Dann brate ich kleine Kleckse in der Pfanne. Es schmeckt tatsächlich. Auch Markus ist begeistert und ich probiere noch 2 andere Gewürzmischungen aus. Als ich fertig bin und mich auf die Couch setze, habe ich irgendwie doch noch Lust weiterzugehen. Und vor allem draußen zu schlafen bei dem schönen Wetter. Markus hat sich schon auf der Couch lang gemacht und wirkt ziemlich müde. Dann können wir uns auch jetzt verabschieden, sonst müsste ich sowieso morgen um 5 Uhr oder so losgehen.

Es ist super schön, dich getroffen zu haben und ich freue mich, dass wir so weit zusammen wandern konnten, Markus! Wir haben eine ganze Menge zusammen erlebt. Wenn wir über den Anfang der Tour reden, dann heißt es nur „damals“. Das fühlt sich schon so ewig lange her an. Ich wünsche dir einen tollen weiteren Weg zum Nordkap. Wir sehen uns eventuell in Innset nochmal und ansonsten nach der Tour.

Um 20 vor 8 mache ich mich wieder auf den Weg. Auch wenn die letzte Zeit echt schön war, freue ich mich auch richtig darauf, wieder alleine zu gehen. Das ist schon noch was anderes, ich gehe gerne alleine. Nicht umsonst plane ich meine langen Wanderungen immer alleine. Ich liebe die Freiheit, mich unterwegs mit niemandem absprechen zu müssen zu Tempo, Pausen, Losgehen und so weiter. Außerdem habe ich das nur, wenn ich alleine unterwegs bin, dass meine Gedanken einfach völlig frei sind und mir Sachen in den Sinn kommen, an die ich sonst nicht denke, weil der Kopf doch immer beschäftigt ist.

Ich folge weiter der Telegrafruta, einer alten Telegrafenleitung, die aber schon abgebaut ist. Man findet nur zwischendurch ein paar Überreste am Boden liegen.

Die Abendstimmung ist total schön. Ich genieße den Weg nochmal richtig. Die Abendsonne taucht die Berge in ein ganz weiches Licht. Der Weg ist trocken und richtiger Luxus für die Füße.

Ich gehe oberhalb des Sees Søre Bjøllåvatnet entlang und dann weiter am Fluss Bjøllåga.

Am liebsten würde ich rückwärts gehen, die Wolken da hinten sehen echt super aus. Die erinnern mich an unsere UFO-Wolken aus der Hardangervidda an Tag 22. Nur eben in größer und mehrstöckig.

Ich komme an der Midtistua vorbei. Aus dem Kamin der Nebenhütte steigt Rauch auf, da ist wohl jemand. Ich gehe nur kurz auf Toilette, bleiben möchte ich aber nicht. Ich habe immer noch keine Lust drinnen zu schlafen.

Also gehe ich noch weiter, an ein paar gestapelten Pfannkuchen-Felsen vorbei. So langsam werde ich aber doch müde.

Direkt vor einem kleinen Bach und See finde ich einen Zeltplatz. Hoffentlich ist es nicht so windig heute Nacht. So richtig geschützt stehe ich nicht. Ich rufe das Wetter ab und baue mein Zelt auf. Der Wind soll immer mehr nachlassen.

Jetzt bin ich im Endeffekt doch noch fast 8 Kilometer weiter gelaufen. Aber das ist ganz gut, dann schaffe ich es morgen auf jeden Fall bis zur Jordbruhytta, so wie ich es geplant hatte. Bis alles aufgebaut ist, ist es halb 11 und ein paar Minuten später bin ich schon eingeschlafen.


29,2 km
7:30 h
790 hm
755 hm
808 m