Ich liege noch im Schlafsack und fühle erstmal, was mein Körper so sagt. Der Hals tut weh, wie immer morgens. Nichts, was Tee und Bonbons nicht lösen können. Es ist alles verschleimt und ich huste. Aber zumindest Kopf und Rücken fühlen sich besser an. Das ist doch schonmal was. Solange es jeden Tag besser wird, kann ich damit leben. Ich bleibe noch lange liegen, packe dann meine Sachen und gehe nochmal ins Café, um einen Tee zu trinken. Wenn sie mich schon hier schlafen lassen. Das Unwetter ist übrigens ausgeblieben. Da war alle Aufregung umsonst. Es hat normal stark geregnet und war nicht besonders windig. Aber besser so rum, als wenn man überrascht wird.
Hunger habe ich immer noch nicht, aber ich möchte ein Stück gehen. Es zumindest mal versuchen. Ein kleiner Spaziergang eben, der hat noch keinem geschadet. Ganz langsam und mit vielen Pausen. Das müsste eigentlich gehen, ich bin es ja gewohnt, zu laufen. Also mache ich mich auf den Weg. In Regensachen, es nieselt die ganze Zeit. Aber das finde ich gerade besser als viel Sonne. Das würde es nur anstrengender machen.
Die ersten Schritte fühlen sich gut an. Ich laufen an einer wenig befahrerenen Straße entlang. Erst noch auf dem Bürgersteig, hinter dem Ort dann am Straßenrand. Damit ist der Weg für heute auch schon beschrieben. Nach einem Kilometer wird es aber schon wieder anstrengend. Ob das wirklich die richtige Entscheidung war? Ich frage das Lama, das mir als Antwort demonstrativ den Rücken zudreht. Es ist wohl nicht begeistert. Na toll! Ich gehe trotzdem weiter.
Irgendwann scheint mein Körper zu merken, dass heute nicht nur faul rumliegen angesagt ist. Das Laufen wird nämlich leichter und fühlt sich richtig gut an. Das freut mich, so schaffe ich es auch bis nach Rognan.
An der Straße stehen immer wieder kleine Unterstände, in denen ich im Trockenen Pause machen kann. Ich mache langsam und setze mich alle 5 Kilometer eine Weile hin. Komischerweise geht es mir aber am besten, wenn ich liege oder laufe. Im Sitzen fühle ich mich nicht so gut.
Da es unterwegs nichts spannendes zu sehen gibt, fange ich ein neues Hörspiel an. Das habe ich mir extra für die Wanderung aufgehoben. Der Schwarm von Frank Schätzing. Ein Science-Fiction-Thriller, der unter anderem in Norwegen spielt. Beim Telefonieren und Hören geht die Zeit ziemlich schnell um. Als ich kurz vor Rognan bin, wird es voller auf der Straße und zum Glück kann ich bald auf einen Fußweg wechseln. Die Städter machen einem nämlich keinen Platz mehr auf der Straße.
Ich komme an ein paar Läden vorbei und kann schon das Wasser sehen. Den Saltdalsfjorden. Ich bin am Meer! Es ist zwar nur ein Meeresarm, aber trotzdem Salzwasser.
Mitten auf dem Parkplatz steht diese Holz-Skulptur von einem Schiffsbauer.
Noch ein paar Straßen weiter und ich habe den Campingplatz erreicht. Und suche mir natürlich einen Platz direkt am Wasser. Heute kann ich zum Wellenrauschen einschlafen. Aber es riecht, finde ich, gar nicht so nach Meeresluft.
Ich bin ein bisschen kaputt, aber gehe nochmal ohne Rucksack zum Supermarkt. Und will auch kurz im Sportladen vorbeischauen, ich möchte ja noch dicke Socken und Handschuhe kaufen für den Norden. Der Laden hat allerdings vor 15 Minuten geschlossen. Dann eben morgen früh oder in Fauske. Im Supermarkt stelle ich mir einen großen Salat an der Salatbar zusammen. Tatsächlich habe ich jetzt Hunger bekommen. Das erste Mal seit vorgestern. Wobei ich auch bisher nur eine Grapefruit gegessen habe heute und ja trotzdem 16 Kilometer gelaufen bin.
Inzwischen geht die Sonne wieder früher unter, gegen halb 10 schon. Das ist ganz schön, da ich so mal wieder einen Sonnenuntergang anschauen kann ohne schon so müde zu sein. Wobei ich es auch schön fand, als es die ganze Nacht hell war. Dann wirkt die weite Welt weniger bedrohlich.
Ich fühle mich immer noch ziemlich matschig, aber gleichzeitig auch gut, dass ich heute zumindest ein bisschen laufen konnte. Ich freue mich über den Abend am Fjord, auch wenn ich die Berge schon wieder herbeisehne. Die Stadt ist mir zu wuselig und laut und jeder, den ich sehe, tippt beim Gehen auf seinem Handy herum. Gegrüßt, geschweige denn angelächelt, wird man hier nicht. Dabei ist Rognan jetzt gar nicht so groß.