Ich bin wieder früh wach, koche erstmal einen Tee und packe meine Sachen zusammen. Gegen 7 Uhr gehe ich los. Noch ein kurzes Stück durch den Ort und dann wieder auf breiten Schotterwegen zwischen Feldern hindurch. Bei den letzten Häusern höre ich einen Gesang. Eine kurze Melodie, die immer wiederholt wird. Das scheint die Gänse-Melodie zu sein. Kurz später mache ich nämlich einem jungen Bauern Platz, dem bestimmt 40 Gänse folgen. Er lockt die Tiere mit seinem Gesang. Dem Pulk folgt noch ein Hund und ein Stückchen weiter verschwinden sie dann hinter einem Zaun. Das ist für eine ganze Weile meine einzige Begegnung heute.

Ich bin umgeben von Windrädern. Gestern bin ich auch schon an einigen vorbeigekommen. Aber heute sind es noch viel mehr, egal wohin ich gucke. Dazu dass hier eine sehr trockene Region ist, scheint auch immer ein Lüftchen zu wehen.

Ich muss ein kurzes Stück an der Landstraße entlang, bevor ich in den nächsten Feldweg einbiege. Zumindest ist die Landschaft schon ein bisschen abwechslungsreicher als gestern. Es ist nicht mehr nur flach, vor mir liegen einige bewaldete Hügel.

Ich gehe durch den winzigen Ort Schönabrunn. Es wirkt so viel netter als die Orte der letzten beiden Tage. Statt gerader Straßen mit aufgereihten Häusern zu beiden Seiten, sind die Häuser mit großen Gärten hier kreuz und quer verteilt. Die Straße schlängelt sich dazwischen her und geht hoch und runter.

Nach dem Ort folgt leider noch ein Stück an der Landstraße, aber ich kann gut auf dem Wiesenstreifen am Rand gehen. Und die Autofahrer, die mir entgegenkommen grüßen mich und machen mir mehr als genug Platz. Selbst als Gegenverkehr kommt und sie nicht ausweichen können, fahren Sie langsamer bis wieder genug Platz ist, dass sie einen großen Bogen um mich fahren können. Sehr freundlich!

So ist das beim Weitwandern, vor allem, wenn man keinem ausgeschilderten Weg folgt – man nimmt alles mit, nicht nur gut begehbare Wanderwege mit toller Aussicht. Der Weg kann auch mal öde und langweilig sein oder durch nicht so schöne Gegenden führen. Aber ich finde, das gehört alles dazu.

Hinter dem nächsten Ort geht es dann an einem Fluss entlang. Ich habe mich schon auf diesen Abschnitt gefreut, habe ich mir das doch so schön vorgestellt, nachdem ich auf die Karte geschaut habe. Ein schöner Spazierweg durch den Wald und entlang der Leitha. Naja, nicht ganz…

Vorbei am Hochwasserpumpwerk ist der Weg tatsächlich erst ganz schön, ein Pfad über eine Wiese. Je weiter ich gehe, desto schmaler wird aber der Pfad und rechts und links die Büsche und Brennesseln immer höher. Links kann ich zwischen den Sträuchern einen Blick auf den Fluss erhaschen, eine braune Brühe, die wenig einladend aussieht. Davon sehe ich dann aber auch nicht mehr viel, die Ufer sind zugewuchert. Allerdings merke ich, dass Wasser in der Nähe ist, große Mücken umkreisen mich. Ich benutze mein Langarmshirt als Wedel, um die Mücken zu verscheuchen. Weiter den Pfad entlang, wenn man diese Schneise überhaupt noch so nennen kann, benutze ich es außerdem als Schutz vor den Brennesseln und halte es vor meine Beine. Zwischendurch kann man immer mal wieder einen Pfad erkennen, dann wird es wieder enger. Ich schaue immer wieder auf mein Handy, irgendwo soll es rechts abgehen, um wieder zur Straße zu kommen. Den Abzweig gibt es aber scheinbar nicht, wahrscheinlich ist er schon komplett zugewuchert.

Nach ca. 1,5 Kilometern komme ich endlich vor einer Brücke an dem nächsten Hochwasserpumpwerk vor Rohrau raus. Hier mache ich kurz Pause, um mich zu orientieren. Außerdem befreie ich meine Schuhe und Socken von den ganzen nassen Gräsern und ein paar kleinen Spinnen.

Wenn ich jetzt der Straße folge, gehe ich einen ganz schönen Umweg. Parallel zu dem „Weg“, wo ich hergekommen bin, ist aber ein Wanderweg ausgeschildert, der mich zurück auf meine Route führt. Ich folge also dem Bernsteintrail und dem Österreichischen Weitwanderweg 02, auch Zentralalpenweg. Kurze Zeit später verschwindet aber auch dieser Pfad im Gestrüpp. Die Wege hier scheinen ja nicht so beliebt zu sein, hier ist bestimmt lange niemand hergegangen. Der Pfad wird noch viel schmaler und die Brennesseln gehen mir bis zu den Schultern.

Ich ziehe schnell meine Regenhose über, damit meine Beine später nicht so jucken. Die Hose kann ich praktischerweise überstreifen, ohne meine Bergstiefel auszuziehen zu müssen. Mit den Armen über dem Kopf bahne ich mir meinen Weg. Bald versperren mir auch dicke Äste den Weg. Jetzt habe ich aber schon über die Hälfte geschafft, also kämpfe ich mich unter den Ästen durch und komme bald danach an die nächste Straße. Gegenüber geht mein eigentlicher Weg weiter. Als ich mich nochmal umdrehe, steht da doch wirklich ein Schild, welches nochmal die beiden Wanderwege ausweist und mitten ins Gestrüpp zeigt, wo ich hergekommen bin.

Weiter geht es dann entspannter, wieder über breite Feldwege, mal Schotter, dann wieder Wiese. Natürlich weiter mit Aussicht auf die vielen Windräder.

Es ist ziemlich warm, die Sonne strahlt und es ist kein Wölkchen am Himmel. Jetzt habe ich schon die ersten 10 Kilometer hinter mir, ohne eine Pause. Ich brauche dringend ein bisschen Schatten. Den gibt es aber hier zwischen den weiten Feldern nicht. Als ich vor mir dann aber einen Hochsitz direkt am Weg entdecke, habe ich meinen perfekten Pausenplatz gefunden. Da weit und breit niemand in Sicht ist, klettere ich hinauf und setzte mich oben auf die Holzplattform in den Schatten.

Nach nochmal einer Stunde durch die Felder, in der ich laut vor mich hin singe, erreiche ich das Örtchen Scharndorf. Hier steht eine kleine, alte Wehrkirche und ich sitze nochmal eine halbe Stunde im Schatten. Bevor ich weitergehe, suche ich noch schnell den Geocache, der in der Nähe versteckt ist.

Weiter geht es durch den Ort, nochmal ein kurzes Stück an der Straße entlang und dann einen langen und geraden Schotterweg zwischen Feldern auf den Ellender Wald zu. Ich freue mich schon auf den Schatten im Wald.

Als ich den Wald erreicht habe, stehe ich allerdings plötzlich vor einem hohen Zaun. Na toll. Ich blicke mich um und entdecke doch tatsächlich weiter rechts im Gebüsch eine Leiter, die über den Zaun führt. Super, dann muss ich ja doch nicht umkehren. Ich kämpfe mich durch die Äste am Zaun entlang und steige dann darüber. An der Leiter stehen keinerlei Schilder, dass das verboten wäre. Nur ein Schild, das vor Eisabwurf von den Windrädern warnt, die hinter mir auf den Feldern stehen.

Weiter geht’s also auf einem breiten Forstweg. Nur noch durch diesen Wald und dann habe ich mein Ziel für heute erreicht. Irgendwann entdecke ich vor mir wieder einen Zaun. Mein Weg soll einen Schlenker nach links und dann wieder nach rechts machen. Hoffentlich ist da nochmal so eine Leiter. Plötzlich halte ich inne. Ein Stück vor mir kommt ein dickes Wildschwein aus dem Gebüsch, überquert den Weg und läuft langsam durch den lichten Wald links von mir, die Nase immer wieder am Boden. Es hat mich nicht bemerkt und ich gehe leise und langsam rückwärts. Das ist das einzige, woran ich mich gerade erinnere. Wenn man auf Wildschweine trifft, soll man sich langsam zurückziehen, den Tieren genug Fluchtmöglichkeiten lassen und warten, bis sie weg sind oder einen ganz anderen Weg nehmen. Ich bin vorhin an einer langen Reihe Holzscheiten vorbeigekommen, die hüfthoch aufgestapelt sind. Dort stelle ich meinen Rucksack ab und setze mich darauf. Ein Stück höher vom Boden fühle ich mich ein wenig sicherer. Ich kann das Wildschwein von hier beobachten und es verschwindet langsam im Wald.

Dann kann ich ja weitergehen, höre aber in dem Moment rechts hinter dem Zaun ein Grunzen und Quieken. Die Sträucher rascheln und ich kann durch die Lücken noch mehr Wildschweine sehen. Gut, dass da der Zaun ist. Allerdings bin ich nicht sicher, dass weiter vorne nicht ein Loch im Zaun ist, da dass andere Wildschwein auch aus der Richtung kam. Ich kann zwei große Tiere und mehrere Frischlinge entdecken. Na super, gerade dann soll man ja besonders vorsichtig sein. Da mir nichts besseres einfällt, bleibe ich also erstmal auf den Holzscheiten sitzen, zücke mein Handy und durchsuche das Internet nach den richtigen Verhaltensweisen. Dank des Zauns habe ich ja genug Zeit dafür.

Rückzug ist richtig und ansonsten soll man laut reden, um die Tiere frühzeitig auf sich aufmerksam zu machen. Sie meiden Menschen, solange sie sich nicht bedroht fühlen. Meist riechen sie einen auch und sind verschwunden, bevor man sie zu Gesicht bekommt. Allerdings riechen sie es auch, wenn man Essen im Rucksack hat, da wollen sie ran, egal wie viel Mensch sie dabei riechen. Okay – ich fange also an zu reden. Das hat allerdings nicht den gewünschten Effekt. Die Wildschweine folgen meiner Stimme und stehen mir auf der anderen Seite des Zauns bald direkt gegenüber. Wo bin ich hier nur gelandet – mitten in einem Wildgehege?

Als ich lauter rede, flüchten die Frischlinge ins Gebüsch, die Bache lässt das aber unberührt. Sie versucht, mit ihrer Nase unter dem Zaun hindurch zu kommen. Und nun? Da zumindest vor mir der Weg wieder frei ist, gehe ich dann doch schnellen Schrittes weiter und hoffe, dass die Tiere auf der anderen Seite des Zauns mir nicht folgen. Tun sie auch nicht.

Vor dem nächsten Zaun angekommen, wo mein Weg einen Knick nach links macht, halte ich aber wieder inne. Links im Wald raschelt es und eine Gruppe von bestimmt 10 Wildschweinen mit Frischlingen rennt weg. Die habe ich wohl aufgescheucht. Mein Blick bleibt an einer sonnigen Lichtung hängen, wo mein Weg hinführt. Ich sehe zig Wildschweine, in Gruppen stehen sie auf der Wiese. Es sind bestimmt 50 Tiere. Na, da gehe ich bestimmt nicht her.

Dann bleibt mir aber nur der Zaun vor mir. Dahinter führt auch ein breiter Weg weiter. Irgendwie muss ich da rüber kommen. Der Zaun ist schätzungsweise 2,50 Meter hoch und besteht aus Holzstämmen mit dickem Draht dazwischen. Nach ein paar Anläufen schaffe ich es, meinen Rucksack rüber zu wuchten. Hoffentlich geht nichts kaputt – aber wenn ich den Rucksack aufbehalte, hält mich der Draht bestimmt nicht. Ich versuche nicht so viel darüber nachzudenken, was passieren könnte, wenn ich falle. Ich klammere mich an dem Baumstamm fest, damit mein Gewicht nicht komplett auf dem Draht lastet. Oben schwinge ich ein Bein rüber auf die andere Seite und springe sobald ich mein anderes Bein auch drüben habe. Alles gut gegangen.

Ich beobachte noch ein bisschen die Lichtung mit den Wildschweinen, die jetzt auf der anderen Seite des Zauns liegt. Ein gutes Foto gibt es leider nicht, da die Wiese relativ weit weg und völlig überbelichtet ist.

Weiter geht’s den Forstweg entlang. Ich entspanne mich, da ich ja jetzt wieder außerhalb des Zaunes bin. Dachte ich jedenfalls. Neben Reifenspuren sehe ich in der Erde vor mir auch Pfoten-Abdrücke. Zur Sicherheit fange ich wieder laut an zu reden während ich weitergehe. Und tatsächlich sehe ich vor mir auf dem Weg noch ein Wildschwein. Ich bleibe stehen und rede weiter. Kurze Zeit später entdeckt es mich und verschwindet schnell im Wald. Doch noch ein Stückchen weiter stehe ich wieder vor einem Zaun. Das Gehege oder was auch immer das hier ist, scheint mehrfach unterteilt zu sein. Und nirgendwo stehen irgendwelche Schilder.

Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als nochmal zu klettern. Den ganzen Weg wieder zurück und den Wald zu umrunden, würde bestimmt 2 Stunden Umweg bedeuten. Ich blicke mich um, ob ich auch immer noch alleine bin und hiefe wieder meinen Rucksack über den Zaun. Ich versuche hoch zu klettern, aber der Draht ist hier nicht ganz so stabil und den ganzen Zaun einreißen möchte ich ja auch nicht. Ein Stückchen weiter finde ich auf Hüfthöhe eine kleine Lücke. Ich biege den Draht ein wenig auseinander und schlüpfe irgendwie ziemlich umständlich hindurch. Der unterste Draht steht scheinbar unter leichtem Strom, da ich an der Wade einen gewischt bekomme, als ich fast drüben bin. Aber es hat geklappt. Jetzt bin ich wieder in dem Teil mit der Lichtung, aber hoffe, dass die Tiere sich alle dort aufhalten.

Noch ein Stück weiter, stehe ich wieder vor einem Zaun, wo es aber eine Treppe gibt. Und an dem Tor daneben finde ich dann auch ein paar Schilder. Die sind aber schon etwas älter.

Laut meiner Karte auf dem Handy, habe ich die Hälfte geschafft. Ich bin froh, wenn ich aus diesem Wald raus bin. Aber da ich auf breiten Forstwegen mit Reifenspuren gehe, muss es ja irgendwo einen Ausgang geben. Außer einem Reh, was vor mir über den Weg springt, treffe ich nun auch keine Tiere mehr. Der Wald wird lichter und wie sollte es anders sein, bald stehe ich wieder vor einem Zaun. Dahinter ist der Wald zu Ende. Es gibt ein großes Tor und dahinter noch eins nach rechts auf den Feldweg, wo ich hin möchte. Beide sind mit dicken Ketten verschlossen.

Ich gehe also nach rechts weiter den Zaun entlang, da auf meiner Karte noch ein anderer Weg eingezeichnet ist. Aber auch dort, noch ein ganzes Stück weiter, ist ein verschlossenes Tor. Na gut, dann muss ich eben noch ein letztes Mal klettern. Den Rucksack behalte ich auf, das Tor ist zu hoch, da würde ich ihn nicht rüber bekommen. Die Metallstreben sind gerade weit genug auseinander, dass die Spitze meiner Schuhe dazwischen passt. Und jetzt bin ich ja schon geübt.

Ich stehe wieder sicher auf einer Straße zwischen Feldern und habe den Wildschweinwald heile überstanden. Puh, das war mal ein Abenteuer. Schwein gehabt!

Jetzt folgt nur noch ein Endspurt zum nächsten Ort. Wieder auf einer langen, geraden Straße, die gefühlt bis zum Horizont führt.

Mit zerkratzten Beinen und müden Füßen komme ich in Maria Ellend an, wo ich im Gasthof Strasser übernachte.

Ich frage nach, was es mit dem Wald auf sich hat. Er wird von einer privaten Jagdgesellschaft genutzt, die dort Jagd auf Wildschweine, Mufflons und Rehe macht. Es gäbe aber kein Betretungsverbot für die Allgemeinheit, alle Wälder in Österreich würden allen offen stehen. Naja, aber das heißt bestimmt nicht, dass man einfach über die Zäune klettern darf. Aber das verschweige ich besser.

Ich beziehe mein Zimmer im Jugendherbergsstil und genieße eine kalte Dusche. Meine Beine jucken ganz schön von den Brennesseln und Kratzern. Ich suche mich gründlich nach Zecken ab, finde aber keine. Und dann bin ich so geschafft und müde, dass ich einschlafe und erst gegen 21 Uhr wieder aufwache. Habe ich nicht gestern noch geschrieben, dass ich es erstmal langsam angehen wollte?!


27,7 km
6:15 h
211 hm
185 hm
239 m