Plötzlich schrecke ich auf. Das Zelt rutscht mit mir darin den Hang hinunter. Es ist dunkel. Ich habe Angst – ich muss hier raus! Das Zelt hat sich gedreht und ich finde die Reißverschlüsse nicht sofort. Sie sind über mir. Nach einer gefühlten Ewigkeit hört das Zelt auf zu rutschen, aber der Wind reißt weiter daran. Ich versuche mich schnell aus meinem Schlafsack zu befreien und klettere aus dem Zelt. Es wird nur noch von einer der Schnüre gehalten, die ich an dem Baum festgeknotet hatte. Die andere Schnur ist anscheinend gerissen. Ich hoffe, dass das Zelt sonst heile geblieben ist. Ich konnte vorhin nur daran denken, dass ich im Meer lande, wenn das Zelt weiter rutscht. Jetzt sehe ich, dass ich nur ein paar Meter weit gerutscht bin. Das fühlte sich anders an.

Hier kann ich nicht bleiben. Ich packe alles ein, so dass nichts wegfliegt. Ich stopfe es einfach irgendwie schnell in meinen Rucksack. Ich sammle alle Heringe auf, die ich finde. Da fehlen bestimmt ein paar. Die abgerissene Schnur, die noch am Baum hängt, nehme ich auch mit. Das kann man bestimmt reparieren. Ich schultere meinen Rucksack und mache mich auf den Weg.

Was ein Schreck! Wenn das so aussieht, wenn man wildcampt, dann reicht es mir jetzt mit Abenteuer. Ich will einfach nur noch die Nacht durch laufen, dann friere ich nicht und habe morgen früh den Weg schon geschafft. Der Mond scheint zum Glück hell und der Weg ist gut markiert. Die meiste Zeit kann ich ohne Stirnlampe gehen. Eigentlich ist es richtig schön, nachts einfach so vor sich hinzutrotten. Ich gehe unter einem wunderschönen, fast klaren Sternenhimmel und es fühlt sich an, als hätte ich alle Zeit der Welt.

Müde bin ich aber trotzdem. Und als der Weg an einer Steinmauer entlang führt, wo es windgeschützt ist, starte ich noch einen Versuch. Ich lege mich einfach mit meinem Schlafsack auf den Boden. Ich nutze den Platz, stelle meine Kamera auf und starte ein Stern-Zeitraffer. Allerdings friere ich nach 1,5 Stunden so sehr, dass ich doch lieber wieder weitergehe.

Nach einer Weile verlasse ich den schmalen Pfad und gehe auf der Straße weiter. Anscheinend habe ich da irgendwo eine Markierung übersehen. Das ist aber nicht schlimm. Laut Karte verläuft der Pfad sowieso mehr oder weniger parallel zur Straße und kreuzt diese irgendwann. Und auf der Straße zu gehen, fühlt sich gerade auch angenehmer an, da man nicht so aufpassen muss, wo man hintritt. Meine Füße und Schultern schmerzen. Vor allem die Schmerzen in meinen Schultern begleiten mich täglich. Mein Rucksack ist viel zu schwer.

Von der Straße geht es auf einen breiten Waldweg. Ich knie mich hin, um auf die Karte zu gucken. Ich bin richtig. Jetzt ist es nicht mehr weit zur Kapelle. Matthias hatte mir gesagt, dass man dort in Höhlen schlafen könne und mit einem Eimer an Wasser aus der Zisterne komme. Oder ich laufe einfach direkt weiter zum Leuchtturm.

Als ich wieder aufstehen will, verliere ich das Gleichgewicht, kippe vom Gewicht meines Rucksacks nach vorne und lande mit meinem rechten Knie genau auf einem Stein. Aua! Das tut ziemlich weh. Das fehlte jetzt auch noch. Ich gehe weiter, aber ich spüre mein Knie bei jedem Schritt. Der Schmerz lässt nicht nach. An der nächsten Wegkreuzung gehe ich in Richtung Kapelle und mache nochmal kurz Halt. Ich setze den Rucksack ab, um meine Schultern zu entspannen. Auch diese schmerzen inzwischen ziemlich unerträglich. Aber es bringt ja nichts, weiter geht es.

Ich komme zur Kapelle und freue mich, dass das Tor wirklich nicht abgeschlossen ist. Ich stehe im Innenhof und schaue mich um. In der Mitte die Kapelle und ringsherum kleine Häuser. Direkt rechts von mir steht eine Tür offen, die Damentoilette. Der Vorraum ist groß genug, um mich dort hinzulegen. Ich bin einfach nur glücklich über diesen windgeschützten Platz und lege mich mit Luftmatratze und Schlafsack auf den Boden. Meinen Wecker stelle ich als Notfall-Wecker auf 8:30 Uhr. Keine Ahnung, wann die ersten Leute hier sind. Die Öffnungszeiten standen draußen mit 10:45 Uhr bis 17:00 Uhr. Nicht, dass mich jemand erwischt. Obwohl es inzwischen schon fast 3 Uhr ist und ich trotz geschlossenem Raum um mich herum immer wieder aufwache, bekomme ich in dieser Nacht doch gefühlt mehr Schlaf als die letzten Nächte. Vielleicht ist wildcampen doch nicht unbedingt was für mich. Jedenfalls schlafe ich nicht ruhig.

Morgens bin ich um halb 8 wach. Ich packe meine Sachen zusammen und schaue mich nochmal im Hellen um. Dann stiefele ich weiter. Jetzt geht es nur noch bergab bis zum Leuchtturm. Ich denke auf dem Weg daran, dass sich doch bitte ein paar Ausflügler in diese einsame Gegend verirren sollen heute. Dann könnte ich den Daumen heben und sie würden mich vielleicht mitnehmen in den nächsten Ort. Ich könnte mir für die nächsten Tage ein Zimmer nehmen. Nach einer Stunde schmerzen meine Schultern wieder. Gefrühstückt habe ich nur eine Orange beim Gehen.

Der Weg führt immer wieder kurz über die Straße, dazwischen schmale Pfade hinunter, um die Serpentinen abzukürzen. Die Straße ist bald nicht mehr asphaltiert, sondern nur noch eine Schotterpiste. Mir kommt ein Auto entgegen und ich hoffe, dass es nicht das einzige bleibt.

Unten angekommen verstecke ich meinen Rucksack unter einem Wacholderbaum. An der Wegkreuzung folge ich dem Pfad zum ehemaligen Nullmeridian. Ohne Rucksack jetzt ganz locker und leicht. Ich finde eine kleine Beton-Statue. Hier war in der Antike das westlichste Ende der bekannten Welt. Land- und Seekarten wurden bis ins 19. Jahrhundert daran ausgerichtet. Bis 1884 der Nullmeridian nach Greenwich verlegt wurde.

Ich gehe wieder zurück zur Kreuzung und mit Rucksack weiter zum Leuchtturm.

Ich halte die ganze Zeit schon nach möglichen Schlafplätzen Ausschau, aber es ist überall felsig und nicht windgeschützt. Der Leuchtturm ist auch enttäuschend, irgendwie hatte ich mir das schöner vorgestellt. Am Ende der Sackgasse finde ich eine kleine Anlegestelle. Ich gehe weiter hinunter. Ich habe kaum noch Hoffnung, dass ich hier einen Schlafplatz finde. Hoffentlich kommen noch Leute, die mich mitnehmen können. Als ich dann aber um die nächste Ecke komme, traue ich meinen Augen kaum. Ich bin plötzlich überglücklich über diesen Ort. Es ist so schön! Hier bleibe ich auf jeden Fall die Nacht. Es gibt windgeschützte, mit Palmwedeln überdachte Sitz- und Kochstellen. Und einen Steg mit Leitern ins Meer. Die Sonne scheint und es ist warm. Es könnte gar nicht schöner sein.

Ich ziehe erstmal meine Schuhe aus und mache barfuß einen Rundgang. Selbst Toiletten und einen Wasserhahn gibt es. Ich esse Bananen-Porridge und ziehe meinen Bikini an. Dann sitze ich in der Sonne und schreibe. Einfach herrlich. Und jetzt habe ich sogar so früh einen Schlafplatz gefunden heute und einfach Zeit, dass ich mal mein Buch „Norwegen der Länge nach – 3000 Kilometer zu Fuß bis zum Nordkap“ anfangen und ein bisschen lesen kann. So verbringe ich den ganzen Nachmittag, glücklich und entspannt. Ich quatsche zwischendurch mit einem spanischen Pärchen, das einen Ausflug macht, ein bisschen auf Englisch. Später kommt noch ein Tscheche, Jakub, genannt Kuba, und leistet mir Gesellschaft. Er bleibt die Nacht auch hier. Wir unterhalten uns viel und ich freue mich noch mehr Englisch sprechen zu können. Zum Abendessen gibt es das letzte Stück Baguette mit Chorizo und eine dicke Möhre. Den Sonnenuntergang schauen wir uns gemeinsam vom Steg aus an. Einfach wunderschön! Ich stelle wieder meine Kamera auf und mache ein Zeitraffer. Hoffentlich wird es was.

Ich würde gerne auch noch auf die ersten Sterne warten, aber ich bin zu müde. Ich mache mir mein Bett auf einer der Steinbänke. Halb unter einem Felsüberhang, halb unter den Palmwedeln. Mit Blick aufs Meer. Ich liege schon um kurz vor 20 Uhr in meinem Schlafsack, mit allen Klamotten an, die ich habe. Es ist die erste Nacht, in der ich nicht friere.


14,8 km
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