Mein Wecker klingelt um halb 7, aber ich bin sowieso schon wach. Im Moment bleibe ich gerne noch ein bisschen liegen. Ich ziehe mich an, putze meine Zähne und dann bin ich auch schon startklar. Nur noch die Schuhe schnüren und los geht es.

Es ist ziemlich bewölkt, darunter auch einige dunkle Wolken, aber zumindest hängen sie nicht so tief. Meine Windjacke ziehe ich nach den ersten Höhenmetern aus, ich bin schon warmgelaufen. Der Weg ist erstmal derselbe wie vorgestern aufs Grünhorn. Es geht hoch zur Ochsenhofer Scharte.

Solange ich noch Empfang habe, schaue ich nochmal in den Belegungskalender der Rappenseehütte. Und ich habe tatsächlich Glück. Für Samstag gab es anscheinend ein paar Stornierungen. Also buche ich schnell für Samstag und Sonntag einen Schlafplatz. Perfekt. Dann muss ich doch keine Nacht Zuhause einschieben. Und die schöne Fiderepasshütte lasse ich eben dieses Mal aus.

Zurück noch ein letzter Blick auf den Hohen Ifen und die Schwarzwasserhütte.

Als ich gerade in den letzten Kehren vor der Scharte bin, donnert es. Zum Glück stehe ich noch an dem steilen Hang, geschützt von Bäumen und Büschen. Da gehe ich gut drin unter. Plötzlich fängt es an zu schütten. Ich habe damit gerechnet und meine Regenjacke schon fast an. Dann kommen Blitze und Hagel dazu. Und mal wieder hocke ich da. Füße zusammen und zähle die Sekunden. Weitergehen ist nicht sinnvoll, in der Scharte bin ich völlig ungeschützt. Aber zurück zur Hütte will ich auch nicht. Ich fühle mich hier recht sicher. Das Gewitter ist nicht so schlimm. Es zieht über mich hinweg und donnert in der Ferne weiter. Es zieht zwar genau in die Richtung, wo ich hin möchte, aber ich bin ja langsamer.

Jetzt hat das Wetter auch die Entscheidung für mich getroffen, welchen Weg ich nehme. Ich wäre gerne über den Grat zum Hochstarzel und über die Güntlespitze gegangen, bis ich am Ende des Bärgunttals rauskomme. Als ich oben in der Scharte ankomme, habe ich einen guten Blick auf den Grat. Sehr verlockend.

Die Alternative ist der Abstieg nach Baad und dann durch das Bärgunt- oder Gemsteltal wieder hoch. Und die Talvariante ist leider jetzt die sichere Variante. Ich möchte nicht wieder auf dem Grat stehen beim nächsten Gewitter.

Also mache ich mich an den Abstieg Richtung Baad. Die nasse und matschige Weide hinab. Jetzt bietet sich mir eine neue Bergkulisse. Wieder mit einem besonders markanten Berg, der sich auf alle Fotos schleichen will. Es ist der Große Widderstein. Die Leute auf der Starzelalpe haben ihn immer im Blick. Das wäre doch mal ein schöner Platz zum Wohnen, die Hütte gefällt mir. Sie ist aber privat. Wer weiß, wo ich einheiraten müsste, um meine Sommer hier verbringen zu können.

Gerade als ich für das Foto abgedrückt habe, zuckt ein greller Blitz waagerecht durch den Himmel. Das wäre ja mal ein super Zufall gewesen, wenn ich den eingefangen hätte. Der Donner lässt zum Glück lange auf sich warten, das Gewitter ist inzwischen weit weg.

An Kühen vorbei geht es weiter bergab. Ein Stück noch über die Wiese, dann in den Wald. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, aber ich muss aufpassen, nicht auf einer Wurzel auszurutschen. Irgendwann wird der Weg breiter, erst ein Schotterweg, dann Asphalt. So ist es einfacher zu gehen. Ein bisschen Abwechslung zwischen Pfaden, wo man sich sehr auf seine Schritte konzentrieren muss und einfachen Wegen finde ich gut.

Ich laufe zwischen den wenigen Häusern her, durch das Zentrum von Baad und schaue mir die Wanderschilder am Parkplatz an. Ich kann entweder durch das Bärgunttal gehen und um den Großen Widderstein herum oder ein Stück weiter und das Gemsteltal hinauf. Wo ich dann am Ende auf denselben Weg stoße. Obwohl es ein bisschen weiter ist, entscheide ich mich für das Bärgunttal. Also geht es direkt wieder hoch.

Bis zur Bärgunthütte folge ich einem breiten Schotterweg, die ganze Zeit leicht ansteigend. Vor mir taucht eine Gruppe von bestimmt 20 Leuten auf. Das sieht lustig aus, ein ziemlich bunter Haufen. Regenklamotten in knalligen Farben, die Regenhüllen der Rucksäcke in leuchtenden Neonfarben und jeder von ihnen hat einen gelben oder orangenen Schirm einer Bergschule in der Hand. Es ist bestimmt eine geführte Wanderung. Ich überhole sie fix.

Nach der Bärgunthütte ist mein nächstes Zwischenziel die Widdersteinhütte. Ich rechne aus, dass ich mittags da sein müsste. Laut Schild brauche ich 3 Stunden. Dann kann ich da vielleicht was trinken und eine Suppe essen. Hier an der Bärgunthütte möchte ich noch nichts. Erstmal noch was schaffen. Das werden heute etwa 20 Kilometer mit vielen Höhenmetern. Aber ich bin super glücklich darüber, wie gut es läuft. Mir ist nicht übel und ich fühle mich top fit. Die Höhenmeter schmelzen nur so dahin.

Hinter der Hütte geht es wieder auf einen kleinen Pfad. Erstmal durch lichten Wald. Und durch viel Matsch. Es fängt auch wieder an zu regnen. Aber was soll’s. Der Regen stört mich nicht so. Hauptsache keine Gewitter mehr.

Bis zum Hochalppass geht es steil hinauf. Die Tannen werden weniger, ich gehe durch Büsche und dann wieder über Wiese. Alle 100 Höhenmeter mache ich eine kurze Trinkpause. Der Große Widderstein thront die ganze Zeit auf meiner linken Seite und kommt immer näher.

Der Blick zurück ist ganz schön grün. Das sieht gut aus.

Am Hochalppass angekommen, biege ich nach links ab. Und sehe wieder neue Berge vor mir. Das mag ich beim Wandern im Gebirge. Dass sich hinter einem Pass oder einer Scharte immer neue Aussichten verstecken. Und hier freue ich mich gerade besonders. Endlich sind ganz viele höhere und felsige Berge zu sehen. Das macht mein Herz froh. Hier oben fühle ich mich frei.

Links die hohe Spitze gehört dem Biberkopf. Da möchte ich gerne hoch. Das ist dann mein erster Gipfel aus den Top 14 höchsten Gipfeln der Allgäuer Alpen.

Nach Süden kann ich sogar die Hochlichtspitze entdecken. Da war ich bei meiner Österreich-Durchquerung oben. Der rechte Zipfel des breiten Fels-Massivs mit den Schneefeldern ist es.

Auf meinem Weg komme ich an einem kleinen Gipfel vorbei. Er liegt quasi direkt neben dem Pfad. Nur ein paar Schritte die Wiese hoch. Es gibt kein Gipfelkreuz und fühlt sich auch nicht an wie ein Gipfel. Aber er ist in der Karte eingezeichnet und hat einen Namen. Also gibt es auch ein Gipfelfoto auf dem Seekopf auf 2.039 Metern.

Dann habe ich wenigstens einen Gipfel heute. Ich würde gerne auch den Großen Widderstein besteigen, aber das wird mir zu lang. Auf die zusätzlichen 500 Höhenmeter verzichte ich gerne. Das muss noch warten. Die beiden Aufstiege lasse ich heute links liegen. Ich folge dem Pfad am Fuß des Berges entlang. Ein echt schöner Weg mit super Ausblick. Und da hinten sehe ich schon die Widdersteinhütte. Da liege ich ja ganz gut in der Zeit, es ist gleich halb 1.

Als ich ankomme, überlege ich, ob ich was trinken möchte. Oder was essen. Aber ich bin so drin gerade und genieße den schönen Weg, dass ich am liebsten einfach weiterlaufen möchte. Also mache ich das.

Es geht über den Gemstelpass. Hier wäre ich hochgekommen, wenn ich den Weg durchs Gemsteltal gewählt hätte. Aber ich bin sehr zufrieden mit meiner Variante. So hatte ich die ganze Zeit einen tollen Blick auf den Widderstein neben mir. Weiter führt der Pfad mich immer mal ein paar Meter hoch, über einen Grashügel, dann wieder durch eine Senke. Das ist eine schöne Abwechslung zu den langen und steilen An- und Abstiegen.

Und noch ein letzter Blick zurück. Links der Große Widderstein und rechts direkt daran der Kleine Widderstein, der sehr viel schwieriger zu besteigen ist.

Wenn ich an der nächsten Kreuzung rechts abbiegen würde, würde ich zum Haldenwanger Eck kommen. Dem südlichsten Punkt Deutschlands. Den Grenzstein kennt ihr ja alle, wenn ihr schon meine Deutschland-Tour verfolgt habt. Da war das große Finale. Ich erinnere mich gerne daran zurück. An den Abschluss meiner ersten langen Wanderung. Verrückt. Da fing es an mit dem Weitwander-Fieber.

Jetzt folge ich dem Pfad aber weiter zum Grenzpunkt Koblat. Es wird ganz schön windig und fängt wieder an zu regnen. Es zieht sich zu und die Wolken sind ziemlich dunkel. Der Widderstein ist nicht mehr zu sehen, wenn ich mich umdrehe. Nur noch grau. Es folgt noch ein steiler Anstieg und eigentlich hätte ich gerne das Geißhorn auf meinem Weg mitgenommen. Laut Schild sind es 50 Minuten bis zum Gipfel. Aber da der jetzt auch in einer Wolke steckt, gehe ich weiter.

Kurze Zeit später klart es wieder ein bisschen auf. Und ich habe meinen zweiten Glücksmoment heute. Wo ich beim Gehen einfach breit vor mich hin grinsen muss. Es ist einfach so schön hier. Dieser Grat vor mir mit dem Wildengundkopf, traumhaft. Das können die Fotos gar nicht so wiedergeben.

Es geht über den Grat rüber und gibt wieder einen neuen Blick. Gegenüber auf zackige Felsen, unten ein Altschneefeld und Wolkenfetzen, die durch die Luft schweben.

Bei den ersten engen Kehren nehme ich meine Hände zur Hilfe. Ein kurzes Stück geht es steil runter, dann wird der Weg wieder einfacher. Und dann kommt auch schon mein Ziel in Sicht. Ganz da hinten sieht man die Mindelheimer Hütte.

Der Pfad führt am Hang entlang und ist jetzt relativ eben. Am Ende geht es noch ein bisschen runter. Das würde ich Genusswanderweg nennen. Man muss sich nicht mehr so sehr auf seine Schritte konzentrieren und kann beim Gehen den Ausblick genießen. Zwischendurch muss ich auch nochmal stehen bleiben und die zackigen Felsen hinter mir betrachten.

Dann habe ich es geschafft. Unter mir liegt die Hütte. Es sind nur noch ein paar Schritte. Und es ist erst kurz nach 15 Uhr. Da war ich schneller als ich dachte. Aber ich habe ja auch keine richtige Pause gemacht.

Auf der gegenüberliegen Seite vom Rappenalptal sehe ich mein Ziel für morgen. Und rechts natürlich wieder den Biberkopf, der schon auf mich wartet.

Auf der Mindelheimer Hütte war ich das erste Mal im September 2016, mit meinen Eltern zusammen. Das war damals meine allererste Übernachtung in einer Berghütte. Ich kann mich an zwei Dinge erinnern. An den Handy-Hammer und dass die Nudeln hier selbstgemacht werden.

Erstmal melde ich mich an und ziehe mich um. Es ist ganz schön kalt jetzt mit dem starken Wind. Ich schlafe im Nebengebäude im Lager „Haldenwangereck“. Das passt ja.

Mit trockenen Sachen und nach einer kleinen Stärkung gibt es dann noch ein Hütten-Zielfoto.

Und auch der Handy-Hammer bzw. Handyausschalter steht noch im Eingang. Aber ich lasse mein Handy doch lieber heile, sonst gibt es keine Berichte mehr.

Beim Essen sitze ich mit einem Pärchen am Tisch, die mir ausführlich von ihrer Urlaubswoche erzählen. Das ist gute Unterhaltung, die beiden sind lustig. Zwischendurch ist es mir nur ein bisschen unangenehm und ich gucke in mein Buch oder in die andere Richtung. Die beiden können die Finger nicht voneinander lassen und hätten glaube ich lieber einen ungestörten Platz für sich.

Die Nudeln sind immer noch hausgemacht und so lecker. Für mich gibt es heute Spaghetti Bolognese. Und noch ein Stück Käsekuchen. Irgendwie bin ich auf den Geschmack gekommen. Käsekuchen mochte ich früher nicht. Dann setze ich mich noch ein bisschen nach draußen und schaue mir die Berge an. Nur den Sonnenuntergang kann man von hier nicht sehen, das ist die falsche Richtung.

Ich beobachte den Hubschrauber der Luftrettung, der auf einem Hügel nicht weit entfernt landet. Eine Wanderin hat wohl einen Muskelfaserriss und kann morgen nicht weitergehen. Sie wird nach Immenstadt geflogen. Als der Hubschrauber wieder abhebt, stehen zig Leute draußen und nehmen es mit ihren Handys auf. Das scheint das Highlight des Abends zu sein.

Als mir draußen zu kalt wird, lege ich mich schonmal ins Bett und lese noch ein bisschen. Zum Schreiben bin ich zu müde, das muss noch warten.


20,2 km
6:45 h
1.458 hm
1.068 hm
2.184 m